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Eine schöner als die andere: Amasya und Safranbolu

Reisen > Türkei 2008

Eine schöner als die andere: Amasya und Safranbolu
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Erzurum, 17 Grad, wolkenlos - die Frisur sitzt." Also geht's los. Die Strecke ist zunächst wieder schlimm, Schlaglöcher, Schotter, Geflicke und viele LKW. Irgendwann wird's besser und wir fahren durch eine zumeist grandiose Landschaft: mal sehr grün, dann braun und zerklüftet, tiefe Täler, breite Bäche und Flüsse, teilweise liegt auf unserer Höhe (manchmal über 2.000 Meter) noch Schnee. Deshalb friere ich auch ziemlich. Ein iranischer Trucker lässt uns fröhlich winkend und hupend überholen, doch müssen wir ihn schon bald wieder passieren lassen, da Regen einsetzt. Mit 60, 70 Stundenkilometern tasten wir uns vorwärts. Zum Glück hört es schon bald wieder auf, wir fahren meist vor dem Regen her. Langsam mögen wir nicht mehr, doch ein Motivationsschub stellt sich 100 Kilometer vor Amasya ein. Hier ist die Vegetation schon so, wie man sich das im Bereich der Schwarzmeerküste vorstellt - die ganze Landschaft scheint vollständig in allen vorstellbaren Grüntönen eingefärbt zu sein. Was für ein Kontrast zum staubigen Osten! Nachdem wir jetzt schon seit vielen Tagen auf 1.600 bis 2.200 Metern Höhe fahren, zeigt der Höhenmesser jetzt nur noch um die 300 Meter.
Amasya gilt als die schönste Stadt Zentralanatoliens. Sie erstreckt sich beiderseits des nicht ganz kleinen Flusses Yesilirmak in einem engen Bergtal. Der Fluss teilt die Stadt in den älteren und den neueren Teil, die durch fünf Brücken verbunden sind. Fotos zeigen zumeist die schönen Häuser der Altstadt, deren Erker zum Teil über den Fluss ragen. Diese stammen aus spätosmanischer Zeit und haben sicher zu Amasyas Ruf beigetragen. Unser Hotel hat auch solche Erkerzimmer, wir kommen jedoch im neueren Trakt unter - wegen der Mücken vielleicht besser. Dafür ragt direkt vor unserem Zimmerfenster der Burgberg in die Höhe. In ihn wurden einige imposante Gräber geschlagen, gekrönt wird er von einer Zitadelle. Mit 80.000 Einwohnern ist Amasya etwa so groß wie unsere Heimatstadt Lüdenscheid, als berühmtester Sohn kann Strabon, ein Historiker und Geograph aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., gelten.
Auch für Amasya haben wir eine Restaurantempfehlung. Der Laden erweist sich jedoch eher als Kellerbar mit lauter Musik. Als ich den Kellner darauf hinweise, zuckt er nur mit den Schultern. Also verziehen wir uns in unser Hotelrestaurant. Einem Missverständnis zufolge bekommen wir mehr Portionen als bestellt, wir kriegen es nicht auf.
In der Nacht schreckt Rendel hoch. Erdbeben!? Ich war vorgewarnt. Fast in Greifweite zu unserem Fenster, noch vor dem Burgberg, verläuft eine einspurige Eisenbahnstrecke, das vermeintliche Erdbeben war ein Güterzug, wobei man allerdings den Eindruck gewinnen konnte, er führe mitten durchs Zimmer.

Da die Nacht ansonsten sehr gut war, machen wir uns zeitig zum Burgberg auf, schauen uns die Felsengräber an (die uns aber nur mäßig beeindrucken können, von Lykien sind wir anderes gewohnt). Bis hoch zur Zitadelle schaffen wir es nicht, doch haben wir einen phänomenalen Ausblick über die Stadt und die Umgebung. Danach sehen wir uns ein schön restauriertes Konak - ein eher herrschaftliches Wohnhaus - an. Hier lässt sich ein wenig erahnen, wie der Alltag in spätosmanischer Zeit ausgesehen haben mag. Mich fasziniert jedoch fast noch mehr eine moderne Errungenschaft: Bevor man das Haus betritt, stellt man die Füße nacheinander in ein Gerät, das einem automatisch Überschuhe aus Kunststofffolie verpasst - zur Schonung der Holzböden. Wir tun uns noch ein wenig mehr Historie an und besuchen das ethnologische Museum. Hier haben es uns vor allem die schön mit Schnitzereien und Intarsien versehenen Türen angetan, außerdem werden in einem Extragebäude sechs Mumien gezeigt. Dass ich schon fast als naturalisierter Türke durchgehen kann, zeigt die Begebenheit, als mich ein Opa anspricht und nach dem Weg fragt.
Während ich ein wenig ausruhe, macht sich Rendel wieder auf Menschenjagd. Sie liebt es, durch die Straßen und Gassen zu laufen und mit Leuten in Kontakt zu kommen. Heute trifft sie auf vier Teenagermädchen, die zunächst auch ihr Englisch ausprobieren wollen, dann kommen sie ins Gespräch über unsere Reise und - deutsche Jungs! Auch ein alter Handwerker, der Schnitzwerk herstellt, freut sich über Rendels Besuch und lässt sich gerne bei seiner Arbeit fotografieren. Abends irren wir auf der Suche nach einem Lokal durch die Straßen. Wir sprechen ein paar Frauen an, die Spaß daran haben, uns zu dem gesuchten Lokanta zu geleiten. Der Abend klingt wieder im Hotelrestaurant aus, wo es anlässlich einer großen Geburtstagsfeier recht gute - türkische - Live-Popmusik gibt.
"Schönste Stadt Zentralanatoliens" - das ist ja wohl nur noch durch "schönste Stadt der Türkei" zu toppen. Und in die soll es heute gehen. Bei unserer Streckenführung haben wir uns die Route durch den
Ilgaz-Nationalpark ausgesucht. "Eigentlich" nichts Besonderes, aber wieder mal eine einmalig schöne Landschaft, die mit Grün nur so klotzt. Auf der wenig befahrenen Strecke halten wir etliche Male an, um die Aussicht zu genießen. Über Kastamonu geht es dann nach Safranbolu.
Auf die Superlative bin ich schon zu sprechen gekommen. Ich weiß nicht, ob es die Kleinstadt Safranbolu z. B. wirklich mit Istanbul aufnehmen kann und muss, auf jeden Fall wird der Ort zum UNESCO-Weltkulturerbe gerechnet. Also auf nach Safranbolu ("Safran im Überfluss")! Der Name stammt von den riesigen Safranfeldern, von denen die Stadt im 19. Jahrhundert umgeben war und die zum Wohlstand beitrugen. Der Ort ist ein Freilichtmuseum für traditionelle türkische Baukunst. Vor allem türkische Intellektuelle haben sich der alten Bausubstanz angenommen und viele Häuser liebevoll wiederhergerichtet. Auf der Suche nach einer Unterkunft kommen wir ans Tor des Pasa Konak. Wir sind uns zwar sicher, dass uns das zu teuer ist, aber Rendel ist mit den Nerven am Ende, auch mich bringen die steilen Sträßchen aus großen, glatten Natursteinen ins Schwitzen. YTL 100,- für eine Nacht erscheinen uns dann doch angemessen und bezahlbar. Wir sind die einzigen Gäste, ein anderes deutsches Motorradfahrerpaar ist am Morgen abgereist. Als wir unser Zimmer betreten, sind wir ein wenig irritiert. Wohl zehn mal zehn Meter groß, dick mit Teppichen ausgelegt, aufwändige Schnitzereien an Wänden und Decken, ein regelrechtes Palastzimmer. Das Haus wurde vor etwa 200 Jahren von einem in Ungnade gefallenen Minister ("Pasha") des Sultans erbaut. Der Unglückliche musste nach einer militärischen Niederlage gegen Napoleon seinen Hut nehmen. Diese herrschaftlichen Konaks gliedern sich üblicherweise in einen eher öffentlichen Bereich, den Selamlik, in dem z. B. Gäste empfangen wurden, und die Privatgemächer, den Haremlik, der der Familie vorbehalten war. Und wir nächtigen jetzt also in einem echten Harem! Unser Hotelier ist ein pensionierter Lehrer, seine Frau unterrichtet noch Musik an einer Hochschule. Sie erzählt uns von der Geschichte des Hauses und auch, dass sie bewusst auf Reiseagenturen verzichten, um bei der Auswahl ihrer Gäste noch ein wenig Einfluss zu behalten. Wir sind müde und fast wunschlos glücklich; nachdem uns die Dame des Hauses noch gut beköstigt und der Hausbursche eine Flasche Wein aufgemacht hat, fehlt es uns für den Moment an nichts. So klingt der Tag im lauschigen Garten aus.
Nach dem Frühstück zeigt uns der Hotelier die neueste Ausgabe des "Verzeichnisses kleiner türkischer Hotels", das uns in einer älteren Ausgabe auch zu Hause vorliegt. Unser "Palast" ist darin natürlich aufgeführt, wir bekommen aber auch Tipps für unsere letzte Station in der Türkei, wir wollen ja noch auf die Insel Gökceada. Wir würden gerne bei Barba Yorgo vorab anfragen, doch geht den ganzen Tag keiner ans Telefon - schade, vermutlich geschlossen. Wir sehen uns Safranbolu an, nehmen einen Imbiss, am Nachmittag schaut sich Rendel noch das kleine Museum und den Uhrturm an. Dabei darf sie sich körperlich betätigen, der Wärter lässt sie mit einer großen Kurbel die Uhr aufziehen.
Ich musste Rendel versprechen, beide Motorräder zunächst die Wackersteinstraße bis auf sichereres Terrain zu überführen. Deshalb entgeht mir die kleine Ansprache unseres Gastgebers zum Abschied, in der er wohl deutlich zu verstehen gibt, wie wohlgelitten und willkommen wir waren. Nett.



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