Hauptmenü
Reisen > Türkei 2008
Hattusa oder: Ein frostiger Empfang bei den Hethitern
Und die Bibel hat doch recht - so muss man wohl im Blick auf unser nächstes Ziel sagen. Es soll über Ankara nach Hattusa gehen, der Hauptstadt des sagenhaften Hethiterreiches. Bis ins 19. Jahrhundert war dieses Riesenreich nur durch einige Hinweise im Alten Testament "bekannt", erst dann kamen britische Archäologen auf die Spur dieses Königreichs, das in seiner Blütezeit im 13. Jahrhundert v. Chr. (also in der Spätbronzezeit) etwa die Fläche der gesamten heutigen Türkei umfasste. Für uns heißt das, das heutige Dorf Bogazköy anzusteuern, das im zentralanatolischen Hochland direkt an die Ausgrabungsstätte von Hattusa grenzt. In dem kleinen Bergort Göynük kaufen wir eine Tüte voll Gemüse sowie Brot und Käse. Prompt spricht uns ein älterer Herr auf deutsch an, der uns, für den Fall, dass wir bleiben wollen, zur Nacht in sein Haus einlädt. Als wir bei einer Rast das Gekaufte verzehren wollen, gesellt sich wiederum ein Opa zu uns. Neugierig betrachten er und seine Kühe unsere Moppeds. Er hat zwar keinen rechten Hunger, doch freuen wir uns, auch mal etwas teilen zu können - was aber nur zum Teil gelingt, da er uns zu Brathühnchen in sein Dorf einlädt. Das lehnen wir dankend ab, nicht ohne ihm zu versprechen, das bei nächster Gelegenheit nachzuholen ...
Dann stellt sich uns Ankara in den Weg, das wir auf einer der Autobahnen an der Peripherie umfahren wollen. Fehlanzeige! Wir verheddern uns völlig im sonntagnachmittäglichen Ausflugs- und Flanierverkehr, weil wir die Richtung nach Kirikkale nicht finden. Die gleichzeitige Auskunft von zehn Taxifahrern erleichtert die Sache auch nicht eben. Zudem ist meine Blase zum Bersten voll, nirgends ein Baum oder Strauch! Der Mitarbeiter einer Tankstelle muss das Pippi in meinen Augen gesehen haben und weist mir, ohne, dass ich fragen muss, zielsicher den Weg. Gesegnet seist du auf ewig! Zwei neugierige türkische Biker auf kleinen Crossern bieten sich an, uns aus der Stadt in die richtige Richtung zu eskortieren. Wir können nicht ganz mithalten, doch lassen sie sich hin und wieder gnädig zurückfallen, damit wir sie nicht verlieren. Hupend und winkend verabschieden wir uns schließlich. Die Strecke zieht sich wie Gummi, es wird dunkel und kalt. Als wir schließlich Richtung Corum abbiegen und kurz stoppen, um uns wärmer anzuziehen, hält neben uns ein Auto, aus dem ein junger Mann steigt, ein türkischer Student aus Freiburg, der seine Eltern besuchen will und sich freut, hier "Landsleute" zu treffen. Zum Glück steht schon am Ortseingang von Bogazköy ein Hinweis auf unsere Pension, durchgefroren kommen wir an. Wir sind die einzigen Gäste, kein Wunder bei den derzeit herrschenden Temperaturen. Auf der Speisekarte steht auch Suppe. Egal welche, wir gießen sie in uns hinein. Bier ist mir heute zu kalt, weshalb ich auf Wein zurückgreife.
Die Zimmer sind natürlich unbeheizt. Rendel friert so arg, dass sie wie bei Schüttelfrost zittert. Ausnahmsweise ohne Hintergedanken steige ich zu ihr ins Bett und wärme sie. Schließlich siegt die Müdigkeit über die Kälte, ausgeruht wachen wir am nächsten Morgen auf. Zum Glück wird wenigstens das Duschwasser heiß. Frühstück. Das Thermometer an meinem Mopped steht aktuell auf 7° C, die rückwirkende Temperaturaufzeichnung zeigt, dass wir in der Nacht Frost hatten. Draußen erscheint es uns, zumindest für die Körperteile, die der Sonne ausgesetzt sind, wärmer als drinnen, also frühstücken wir auf dem Vorplatz. Aber natürlich sind derartige Temperaturen auf einer Höhe von gut 1.000 Metern Mitte Mai keine Besonderheit.
Schon von der Pension aus erkennt man die Umrisse des rekonstruierten Stadttors von Hattusa. Bis zum Eingang kann man gut laufen. Dort angekommen, meldet meine Digicam "Bitte wechseln Sie die Batterien!" Kann doch nicht, waren doch frisch! Zwar haben wir noch eine Kamera mit, doch ist diese die bessere. Ich latsche wieder zum Hotel und komme mit dem Mopped zurück, eine gute Entscheidung, denn der Komplex ist sehr weitläufig, dafür aber gut befahrbar. (Das Kameraproblem erwies sich als "chronisch", die irregeleitete Elektronik verlangte immer wieder nach neuen Batterien.)
Die auf mehreren flachen Hügeln verteilte Stadt erschließt sich dem Laien nur zum Teil, gut zu erkennen sind jedoch noch die Grundmauern von Tempeln, Palastanlagen, Vorrats- und anderen Häusern. Imposant sind vor allem die großen Tore in der sechs Kilometer langen Stadtmauer, so etwa das Löwentor. Besonders interessant ist ein Würfel von vielleicht einem Meter Kantenlänge, der in einem Tempelbezirk steht, und der aus Diorit, einem glasartigen grünen Material, besteht, fast wie Jade. Das Mystisch-Monumentale erinnert an unseren Besuch in Eflatun Pinare am Beysehir-See im letzten Jahr - auch ein hethitisches Heiligtum.
Ein junges türkisches Paar schaut sich das Areal an. Als wir an ihnen vorbeigehen, spricht uns die "bekopftuchte" junge Frau mit einem gewinnenden Lächeln freundlich auf Englisch an. Nach kurzem Austausch gibt sie (!) uns die Hand und verabschiedet sich mit einem liebenswürdigen Memnum oldum! - "Sehr erfreut!", dem wir Ben'de memnum oldum! - "Ebenfalls sehr erfreut!" entgegnen. (Manches Klischee und Vorurteil bestätigt sich sicher, manch anderes wird jedoch auch in erfrischender Weise ausgehebelt. Zum Thema "Lächeln zwischen den Geschlechtern" wird Rendel an anderer Stelle noch etwas sagen ...)
Wir sind froh, das Motorrad zur Verfügung zu haben, da die Wege doch lang sind. Es weht ein kalter Wind - wir sind an diesem Vormittag eher auf schweißtreibendes Wandern denn auf Motorradfahren eingestellt.
Nach einem Mittagessen - mein geliebtes Melemen, eine Art Rührei mit Tomaten und Peperoni - machen wir uns noch einmal auf in das ein paar Kilometer entfernte Yazilikaya, das zu dem Komplex gehört, aber ausschließlich als Heiligtum diente. Dessen zwei Kulträume ("Kammern") liegen unter freiem Himmel, eingerahmt von bis zu zwölf Meter hohen Felsklippen. Spätestens seit dem 15. Jahrhundert v. Chr. war der Ort in Benutzung, aber wohl erst im 13. Jahrhundert v. Chr. haben hier hethitische Künstler lange Reihen von Göttern und Göttinnen in die Felsen gemeißelt. Die zipfelmützige Götterparade erinnert mich an Otto Waalkes und seine Sieben Zwerge: "He-thiter, Ho-thiter ..." Der Besuch von Hattusa ist keine Enttäuschung, der Komplex zählt zurecht zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Am Abend stellt uns der Hotelier einen Wärmestrahler aufs Zimmer, den wir gerne annehmen und die ganze Nacht anlassen.