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Trauerfeier auf Türkisch

Reisen > Türkei 2008

Trauerfeier auf Türkisch
Beim morgendlichen Start hat es die Reiseleiterin der amerikanischen Gruppe schwer, sich Gehör zu verschaffen, zu interessant sind wir mit unseren Motorrädern. Einer der Amis erzählt, dass er auch ein Motorrad hätte, eine Halli..., Holla... - was weiß ich?! Noch interessanter wird es, als Rendel ihr mit laufendem Motor auf dem Ständer stehendes Motorrad aus den Augen lässt, woraufhin es umfällt. Zum Glück bleiben sowohl der daneben wartende Reisebus als auch das Motorrad unbeschädigt (einen Anschiss von mir gibt's trotzdem). Vorbei am Fuß des schon erwähnten Erciyes Dagi geht es Richtung Südosten.
Yumurtalik am Ostende der Cukurova-Ebene (östlich von Adana) soll ein netter Badeort am Meer sein. Bevor es in die Cukurova abfällt, wird es durch die Berge des östlichen Taurus gehen. Wir sind bei locker bewölktem Himmel gestartet, nach etwa der Hälfte der Strecke fahren wir jedoch auf eine dunkelgraue bis schwarze Wolkenwand zu, aus der zunehmend kräftige Blitze zucken, zudem setzt Regen ein. Jetzt müsste doch eigentlich ein Dorf kommen! Bei Gewitter auf dem Motorrad werde ich immer etwas panisch. Manchmal freut man sich auch als Christ, wenn ein Minarett auftaucht, in diesem Fall das von Doganbeyli. Wir parken die Moppeds vor einem kleinen Laden, haben natürlich gleich die Aufmerksamkeit des ganzen Dorfes. Dass ein Tourist hier durchfährt, ist schon eine Seltenheit, dass einer hier anhält, eher unwahrscheinlich. Der Regen hält sich etwas zurück, uns werden Stühle vor dem Teehaus angeboten, ein Tee folgt dem nächsten. (Apropos: Vor dem Urlaub hatte ich 14 Kilo abgenommen. Schon erstaunlich, dass ich, trotz massiven Zuckerkonsums im Tee und viel gutem Essen, nur anderthalb wieder zugenommen habe.) Mit Türkisch und etwas Englisch erzählen wir von uns und unserer Reise. Die Einladung zum Essen schlagen wir zunächst aus, kommen, als der Regen dann doch stärker wird, jedoch darauf zurück. Wir werden zu einem größeren Haus geführt. Davor sitzen an langen Tischen anscheinend alle Kinder des Dorfes, die uns natürlich mit großen Augen ansehen und fröhlich begrüßen. Wir nehmen in einem der Räume auf dem Boden Platz. Außer Rendel alles Männer, die Frauen sitzen woanders. Bei unserer Unterhaltung hatten wir schon erfahren, dass wohl eine Türkin aus Deutschland gestorben und hierhin in ihr Heimatdorf überführt worden war. Wir sind im Trauerhaus gelandet, der aus Deutschland mit angereiste Sohn, der die Trauerfeier ausrichtet, setzt uns auf Deutsch ins Bild. Zunächst gibt es Unmengen von Ayran und Pide, das Pendant zu unserem "Beerdigungskuchen", dann wird es still und der Hodscha stimmt eine etwa 15-minütige Trauerlitanei an. Danach verabschiedet sich der Großteil der Gäste, wir bleiben mit einigen Verwandten und Freunden der Familie zurück. Mittels des Deutschtürken, der als Produktentwickler für Müsliriegel bei einem "großen deutschen Cerealienhersteller" arbeitet, können wir uns gut verständigen. Trotz des traurigen Anlasses lachen wir viel, lassen uns fast das süße Töchterchen eines der Männer im Tausch gegen ein Motorrad mitgeben. Eine Oma schaut um die Ecke und tituliert Rendel liebevoll mit "Mein Lämmchen", was dem deutschen "Mäuschen" gleichkommt.
Diese naturverbundenen Menschen, die noch Tag für Tag mit ihren Händen für ihren Unterhalt sorgen, die können bestimmt auch noch Wind und Wolken deuten, also frag ich, wann wir wohl mit Besserung rechnen können: "Es hört bald auf!", lautet die frohe Botschaft. "Nein", meint ein anderer, "das regnet noch stundenlang." "Ja, ja", schließt einer der Onkels, "entweder hört's jetzt auf oder es regnet noch länger." ...
Der Opa der Familie will uns bei dem Wetter auf keinen Fall weiterziehen lassen. Er ist mittlerweile dahintergekommen, dass wir
nicht mit dem Fahrrad unterwegs sind, sondern mit dem Motorrad. "Ah, das ist gut, dann haben sie es nicht so schwer. Besser wäre es aber, wenn sie mit dem Auto da wären. Sag ihnen" - so an den Übersetzer gewandt -, "sag ihnen, dass sie auf keinen Fall weiterziehen können, es ist viel zu nass und zu kalt. Sie müssen über Nacht hierbleiben!"
Aber wir müssen - und wollen - weiter. Bei der Verabschiedung versichern uns die Anwesenden, dass wir ihnen durch unseren "Besuch" ein bisschen Licht in die traurige Situation gebracht hätten, eine Aussage, die wir, nebst der gewährten Gastfreundschaft, nur beschämt zur Kenntnis nehmen können. (Wer in Deutschland würde schon ein paar zufällig des Wegs kommende ausländische Touristen zur Trauerfeier für seine Mutter bitten?)



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