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Durch Zentralanatolien: Heitere Konservative

Reisen > Türkei 2008

Durch Zentralanatolien:
Heitere Konservative

Bei der Routen- und der damit verbundenen Zeitplanung sollte man sich in der Türkei von der Klassifizierung der Straßen auf der Karte nicht täuschen lassen, zumal nicht mit dem Motorrad. In der Türkei lässt es sich trefflich, insbesondere mit (Reise-) Enduros Motorrad fahren, doch muss man trotzdem im Hinterkopf haben, dass die Straßen dort nicht für Motorräder gemacht sind. Die Strecke zwischen Dogubayazit und Erzurum ist in der Kategorie Fernstraße eingezeichnet, eine Stufe hinter Autobahn. Das sagt allerdings wenig über den tatsächlichen aktuellen Ausbau- und Erhaltungszustand. Auf besagter Strecke begegnete uns alles: autobahnähnliche Abschnitte, Landstraße, Schlaglochpiste und Schotter- und Geröllabschnitte - und dann vielleicht einen iranischen Kamikazetrucker vor oder hinter dir (oder beides). Auf etwa der Hälfte der Strecke kann mich ein Jandarma-Kontroletti beruhigen, bald würde die Straße sehr gut. Langsam nervt mich die dauernde Fragerei bei den Kontrollen: "Turist?" "Nein", würde ich am liebsten antworten, "ich bin Geschäftsmann und die Frau auf dem Motorrad hinter mir ist meine Sekretärin!" - verkneif ich mir dann aber, denn die Jungs sind eigentlich immer sehr nett. Neben dem Straßenzustand macht uns noch etwas anderes zu schaffen: die Hirtenhunde. Allein auf dieser Strecke hetzen dreimal Köter von stattlicher Größe wie aus dem Nichts auf uns zu, wobei der Schreckmoment sicher immer das Gefährlichste ist. Ein Tourist, mit dem wir uns am Van-See unterhalten hatten, berichtete davon, dass ihm so ein Vieh eine Zierleiste an seinem Auto abgebissen hatte.
Vor Erzurum fahren wir kilometerweit parallel zur Palandöken-Gebirgskette, auf der noch Schnee liegt. Die Gegend zählt zu den bekanntesten Wintersportgebieten der Türkei. Es ist Sonntag, halb Erzurum scheint beim Picknick, einem türkischen Volkssport, zu sein. Schon Kilometer vor der Stadt hocken sie überall am Wegesrand familienweise zusammen, brutzeln und kochen Tee. Wieder einmal finden wir unser Hotel mithilfe eines vorweg fahrenden Autos. Danke! Das Hotel ist etwas nobler, entsprechende Karossen der Oberklasse parken davor. Wir jedoch - noblesse oblige - dürfen direkt vor dem Eingang parken.
Erzurum wurde uns als "sehr konservativ" beschrieben, wir sind gespannt, wie sich das ausdrücken wird. Wer so prominent parken darf, der muss auch entsprechend speisen. Wir folgen einer Empfehlung und suchen das älteste und angeblich beste Haus am Platze auf. Hier kommen guter Service, ein gediegenes Ambiente und die türkische Gepflogenheit, in der Küche in die Töpfe schauen zu dürfen, zusammen. So stellen wir uns unser Menü nach optischen und olfaktorischen Kriterien zusammen, eine Auswahl, die dann auch die Geschmacksnerven überzeugen kann. Zudem hat das Restaurant eine echte Weinkarte.
Was auch immer "konservativ" in so einem Kontext heißen soll - auf uns macht Erzurum einen recht heiteren Eindruck. Die Stadt ist voll, überall flanieren Paare und Familien, ein Gemisch aus Kopftuchträgerinnen und "modernen" Frauen, alles erinnert etwas an ein großes Straßenfest, fliegende Händler, Stände mit gerösteten Maiskolben und Hammelfleisch.

Als ich aus dem Hotelfenster schaue, sehe ich, wie jemand neugierig mein Mopped befingert. Ohne Argwohn, nur zum Spaß rufe ich: "Nur anschauen, nicht anfassen!" Aber anscheinend habe ich ihn doch etwas verschreckt ...
Wir überlegen, wie's weitergehen soll. Über Kappadokien Richtung Westen, also nochmal ins "Old Greek House"? So reizvoll der Gedanke ist, wir beschließen, uns morgen über Sivas nach Amasya, also mehr Richtung Nordwest und damit Richtung Schwarzmeerküste zu orientieren.



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