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Versenkte Minarette und durchgeknallte Ornithologen

Reisen > Türkei 2008

Versenkte Minarette und durchgeknallte Ornithologen:
Hasankeyf und Van-See
Hasankeyf - vor über zehn Jahren begegnete mir dieser Ortsname zum ersten Mal, als mir in Patara ein Kellner Bilder seines Heimatortes zeigte. Die Bilder und der Umstand, dass dieser Ort am Tigris liegen sollte, faszinierten mich sofort. Und diesen Ort sollten wir an diesem Morgen erreichen! Schon nach einer Stunde Fahrt tut sich eben die Perspektive auf, die mir von den Fotos in Erinnerung geblieben war: die tiefe Schlucht und die Stümpfe der antiken Tigrisbrücke, die auch als Ruinen noch faszinieren. Aber das ist nur ein Ausschnitt. Im Wesentlichen war Hasankeyf eine Felsenfestung (so auch eine mögliche Übersetzung des Namens; nach anderer Etymologie kann man es wohl auch als "Hasans Freude" übersetzen). Die eigentliche Festung thront über dem tigrisseitigen Fels der Schlucht, drum herum finden sich Höhlenwohnungen und die Reste eines Gemeinwesens, das einmal 10.000 Menschen umfasst haben soll. Heute sind es vielleicht noch ein paar Hundert. Trotz der Hitze machen wir den Aufstieg zur Zitadelle, eine Anstrengung, welche die Mühe wert ist. Weit geht der Blick über den Tigris. Im "modernen", also bis in heutige Zeit genutzten Teil des Dorfes, sticht vor allem das schöne Minarett ins Auge. Nach den Plänen des schon erwähnten GAP-Projekts wird das Minarett im Zuge des Ilisu-Staudamms bis auf die Spitze in den Fluten des angestauten Tigris versinken. Allen Protesten zum Trotz sind jetzt wohl doch die benötigten Kreditgarantien für das Projekt bewilligt worden. Zwar steht auch Geld für die Verlagerung einiger der geschichtlich wertvollen Stätten zur Verfügung, was jedoch die Einmaligkeit dieses Ortes nicht wird erhalten können. Auch wegen dieses "Zeitdrucks" wollten wir Hasankeyf unbedingt in diesem Jahr aufsuchen - bevor auch hier nur noch ein Stoppschild (oder die Spitze des Minaretts) aus dem Wasser ragt ...
Wir tanken bei einem für diese Gegend außergewöhnlich freakig aussehenden Tankwart und halten uns Richtung Batman. Lieber hätten wir dort getankt, denn da in Batman ein Großteil der türkischen Ölraffinerien angesiedelt ist, soll der Sprit da günstig sein. Die zehn Kurus pro Liter (etwa fünf Cent), bei einem Spritpreis von mehr als 1,70 Euro, entlasten unseren Geldbeutel dann aber auch nicht wirklich.
Heute "drubbeln" sich unsere Highlights ein wenig, denn wir wollen noch bis zum Van-See. (Nein, "Pack die Badehose ein!" spielt am Wann-See ...) Bis wir diesen das erste Mal in der Stadt Tatvan am Westende zu Gesicht bekommen, müssen wir nochmal auf eine der berüchtigten Rennstrecken der LKWs im Iranverkehr. Na ja ... "Rennstrecke" ... Im Städtchen Bitlis stauen sich die LKWs auf der schmalen Durchgangsstraße, wir im Dieseldunst mittendrin, ich meine, einen Rußbelag auf der Zunge zu spüren. Schließlich löst sich die Schlange auf und dann sehen wir endlich Tatvan und das Seeufer. In Tatvan essen wir für YTL 8,- eine Riesenportion Lahmacun und Salat. Rendel, ausgewiesene Lahmacun-Expertin, hält es bis heute für die beste dieser "türkischen Pizzen", die sie je gegessen hat. Am südwestlichen Ufer schlängeln wir uns bis auf 2.200 Meter Höhe, dann fällt es wieder ab. Bei einem Stopp treffe ich auf acht Jungens, die im See - zumeist in Unterhose - baden. Sie versichern mir, dass das Wasser sicak - also warm - sei, eine Aussage, die ich später noch widerlegen werde. Am gegenüberliegenden Seeufer grüßen der Süphan Dagi und der (zweite) Nemrut Dagi. Letzterem ist die Entstehung des Van-Sees zu danken. Bei einem Ausbruch des Vulkans wurde durch die Lava eine natürliche Staumauer aufgeworfen, hinter der sich das Wasser sammelte und die den See zu einer Größe anschwellen ließ, die etwa der siebenfachen Fläche des Bodensees entspricht. Der See hat keinen nennenswerten Abfluss, Flüsse, Bäche und die Schneeschmelze auf der einen, Verdunstung auf der anderen Seite halten den Wasserspiegel konstant. Diese spezielle Gegebenheit verursacht einen hohen Sodagehalt des Wassers, es fühlt sich leicht seifig an. In dieser "Lauge" kann sich nur eine Fischart halten, eine Ukelei. Schmeckt übrigens, wie wir später feststellen können, gut. ("Van-Nessie", die immer mal wieder auftauchen soll, haben wir nicht zu Gesicht bekommen.) Eine weitere zoologische Besonderheit ist die nur hier vorkommende Katzenart, die zwei verschiedenfarbige Augen hat und die die einzige Art darstellt, die freiwillig ins Wasser geht und schwimmt.
Wir hätten uns gerne die Insel Akdamar mit ihrer armenischen Kirche angesehen, leider fährt die Fähre so ungünstig, dass wir uns das schenken müssen, wenn wir heute noch in das anvisierte Quartier kommen wollen. So bleibt es bei einem Foto vom Ufer aus. Schnell wollen wir die Stadt Van hinter uns lassen. Kurz vor der Ortsausfahrt sehe ich im Spiegel, dass Rendels Motorrad am Boden liegt! Déjà vu? Ich wende auf dem Fleck und fahre die 100 Meter zu ihr zurück. Ihr erhobener Daumen signalisiert, dass es nicht so schlimm sein kann. Mit Hilfe einiger Passanten heben wir ihr Mopped auf und bringen uns an einer Tankstelle in Sicherheit. Was war passiert? Rendel berichtet, dass ihr jemand von links die Vorfahrt genommen hat. Aus ihrer Sicht hat sie das Ausweichmanöver nicht richtig eingeleitet und sich verbremst. Aber augenscheinlich ist der Sturz glimpflicher verlaufen als im letzten Jahr. Zwar sind wieder Rippen betroffen (diesmal die andere Seite), aber wohl nicht so heftig. Ich bin froh, ihr eine gute Protektorenweste verpasst zu haben. Zehn Minuten Durchschnaufen und Beruhigen, dann geht es weiter. Sturzbügel und Koffer haben ein paar Kratzer, ihnen ist es aber geschuldet, dass Rendel nicht unter dem Motorrad zu liegen kam und dass auch am Motorrad selbst nichts beschädigt wurde.
Da es am Nordostufer kaum Unterkünfte zu geben scheint, haben wir uns in Dr. Kochs "Club Natura" angemeldet. Diese Anlagen richten sich vor allem an Naturliebhaber (der Name klingt eher nach FKK-Camp), hier am Van-See in erster Linie an ornithologisch Interessierte. Wir sollen vor Muradiye links zum Dorf Colpan abbiegen. In dem kleinen Flecken kann man uns nicht weiterhelfen, einen "Club Natura" kennt niemand. Erst als ich den Vornamen von Frau Koch nenne - Aysel - klingelt es. Ein Kind läuft vor uns her und zeigt uns den Weg. Schließlich stehen wir vor einem windschiefen Maschendrahtgatter, das von einer bedrohlich zischenden Gänseschar bewacht wird - Eingangsportal zu unserer Ferienclubanlage? Mir dämmert, was es bedeuten könnte, was in einem Reiseführer über diesen Ort zu lesen war. Dort war die Rede vom "Geist und dem Spannenden eines echten Grenzpostens". Aber wir sind richtig. Die Anlage besteht nur aus einer Reihe kleiner, ganz unauffälliger Bungalows, vielleicht sechs, sowie einem großen Gemeinschaftsraum, Küche etc. Dazu ganz abgeschieden und direkt am See - ein Traum für Ruhesuchende. Außer uns ist gerade eine Gruppe Hobby-Ornithologen da, die 14 Tage lang losziehen, um Vögel zu finden und zu bestimmen. Stolz berichten sie, in den zwei Wochen 196 Arten bestimmt zu haben. Diese Ornithologen - sie selbst nennen sich kurz "Ornis" - haben einen Knall. Das sage nicht ich, sondern war eine Selbstauskunft, aber wer ein Hobby, egal welches, ernsthaft betreibt, der muss einen Knall haben - außer vielleicht Motorradfahrern.
Wenn man am Ort bleibt, kann man eigentlich nur eines tun: nichts. Und das machen wir in den nächsten drei Tagen sehr intensiv. Wir kümmern uns lediglich um die Wäsche und die Moppeds, lesen, faulenzen und - ja, wagen uns in das dann doch recht kalte Wasser, dass sich tatsächlich ein wenig wie Seifenlauge anfühlt. Einige der "Ornis" sowie unser "Hausvater" sind mit im Wasser. Ich fühle mich sauwohl und denke an den Atatürk-Leitspruch, den man überall in der Türkei lesen kann - irgendwas mit "glücklich". Ich frage den jungen Mann, der mir dann auch antwortet: Ne mutlu türküm diyene - "Glücklich derjenige, der sich Türke nennen kann." Leider entgeht mir in dem Moment, dass ich damit ausgerechnet einen Kurden nötige, dieses Bekenntnis auszusprechen! Er scheint es mir aber nicht weiter übel zu nehmen. Abends gibt's für alle Mann gemeinschaftlich Essen, unter anderem die erwähnte Ukelei. Wenn man sich etwas aus dem Kühlschrank nimmt, notiert man es nur auf einer Liste, das alles zu sehr moderaten Preisen. (Wer erwägt, dort unterzukommen, sollte unbedingt vorher anfragen, da die geringe Kapazität durch Gruppen schnell ausgelastet ist. Zudem wird nur Halbpension - mit einem zusätzlichen mittäglichen Imbiss - angeboten, was auch Sinn macht, da es rundherum nichts gibt.) Einer der Ornis ist im Hauptberuf Botaniker, als Randgebiet auf Hummeln spezialisiert. Stolz berichtet er, dass er sechs seltene Exemplare hat fangen können. Betäubt liegen diese jetzt im Kühlschrank und sehen ihrer Präparation in Deutschland entgegen. Als ich mir ein Bier aus dem Kühlschrank hole, bekrabbelt sich eins der Viecher und macht sich vom Acker. Ich sag mal lieber nix ...



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