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Reisen > Türkei 2008
Es geht los: Von Thessaloniki bis Iznik
„Wilde Gegend, wilde Gegend! Sie werden Noah sehen.“ - Dr. A., türkischer Kinderarzt einer befreundeten Familie, ist ganz aus dem Häuschen, als er von unseren Plänen für die 2008er-Türkeitour hört. Sein Hinweis auf delice bal, „verrückten Honig“, eine giftige, je nach Zusammensetzung psychedelisch wirkende Honigart, die von einer im Pontischen Gebirge vorkommenden Azalee gesammelt wird, verstärkt meine Erwartung und Vorfreude nur. Kurz nach der Heimkehr im Juni 2007 stand fest, dass wir viel zu viel nicht haben sehen können, um nicht wieder in die Türkei fahren zu müssen. Und nachdem Rendel ihren dreifachen Rippenbruch physisch wie psychisch gut weggesteckt hat, geht es um den Jahreswechsel an die Vorbereitung der Motorräder und die Feinplanung. Das Jahres-Urlaubskontingent wird eh dabei draufgehen, trotzdem wollen wir die Anreise so zeitrationell wie möglich arrangieren. Wir finden eine Spedition, die uns zusagen kann, die Motorräder zum gewünschten Zeitpunkt in Thessaloniki bereitzuhalten, wir selbst wollen mit dem Flieger hinterher.
So bringen wir die Motorräder eine Woche vor dem Flug zur Spedition und verabschieden uns von ihnen. Am Donnerstag, 8. Mai, fliegen wir, nur mit Handgepäck ausgestattet, hinterher. Nach einer Nacht im Hotel sitzen wir schon 24 Stunden nach unserer Abreise in Deutschland in den Sätteln, die griechisch-türkische Grenze im Visier. Schon bald strecken sich die drei Finger der Chalkidiki rechter Hand ins blaue Meer. Da wir, einer bewährten Regel folgend, bei Regen nicht fahren wollen, haben wir auch alle Regenkleidung zu Hause gelassen. Nach einem Imbiss in Xanthi zieht sich der Himmel zu, erste Tropfen fallen. „Okay, so lange die Straße noch halbwegs trocken ist ...“ Dann muss ein Buswartehäuschen doch erstmal als Regenschutz dienen. Bis Komotini sollten wir noch kommen. Dort finden wir das angepeilte Hotel nicht, also bis Alexandroupoli. Rendel hat schon alles mit dem Hotel gecheckt, als sich die Wolken wieder etwas lichten. Kesan, 50 Kilometer weit auf türkischem Boden, müsste zu schaffen sein. Die Grenzabfertigung umfasst drei Stationen (Passkontrolle, Zoll, Polizei), geht aber recht zügig. Mit dem letzten Tageslicht treffen wir in Kesan ein (von der Stadt kannte ich bislang nur den Burger King ...) Die Straßen sind mit Schlamm überspült, unsere Moppeds sehen schon nach einem Tag aus wie S... Das Hotelzimmer liegt im vierten Stock und stinkt, was dem Umstand geschuldet ist, dass manche Hotels die berüchtigten Klosteine auch in die Waschbeckenabflüsse legen. Wir drapieren die nasse Kleidung auf alle verfügbaren Pfosten und Haken und begeben uns auf die Suche nach etwas Ess- und Trinkbarem. Für eine Hardcore-Abstinenzlerin wie Rendel kein Problem, für mich scheint es kein Lokal mit Bierausschank zu geben. In einem Pide Salonu werden wir aber zunächst mal satt, Bier bekomme ich dann doch noch in einem Market, dessen Inhaber in Krefeld gearbeitet hatte.
Am nächsten Morgen sind die Straßen abgetrocknet, wir orientieren uns Richtung Dardanellen, setzen schon auf der Strecke Gelibolu-Lapseki über und nicht auf der bekannteren von Eceabat nach Çanakkale. Damit sind wir „richtig“ in der Türkei! An diesem Tag wollen wir an der Marmaraküste entlang über Bursa nach Iznik. Die ersten 50 Kilometer ziehen sich durch grüne Wälder und Wiesen, dann wird es etwas öder. Zur Mittagsrast zweigen wir auf die markante Halbinsel Erdek ab, die sich ins Marmarameer streckt. Die Anfahrt zum gleichnamigen Ferienort gleicht die Ödnis der letzten Stunden etwas aus. Ich esse den ersten Iskender-Kebap dieses Urlaubs (Iskender Kebap, auch Bursa Kebap genannt, ist eine Variante der Döner Kebap, bei der das Grillfleisch mit Tomatensauce, klein geschnittenem Fladenbrot, Yoghurt und zerlassener Butter serviert wird.) Hier in Erdek fällt uns zum ersten Mal auf, wie wenig nicht-türkischen Urlaubern man außerhalb der bekannten Touri-Hotspots begegnet, östlich von Ankara konnten wir die - buchstäblich - an zwei Händen abzählen. Am frühen Abend erreichen wir den Iznik-See, an dessen südlichem Ufer wir auf die Stadt gleichen Namens zuhalten. Seeufer in der Abendsonne - hier kommt zum ersten Mal echtes Urlaubsfeeling auf. Während ich fast ins Träumen gerate, passiert es: Der Angriff der Killerstörche! Schon die ganze Zeit sahen wir viele dieser großen Vögel am Ufer des Sees waten. Auf einmal halten drei Adebare frontal und in Kopfhöhe auf mich zu, ziehen erst im letzten Moment hoch. Kennt noch jemand die Frogs aus „Raumpatrouille Orion“, die immer in Schwärmen angriffen? - Ey, Alder, ich schwör: Genau so war's!
Auch das ins Auge gefasste Hotel liegt direkt am See. Da wir am nächsten Morgen schon zeitig weiter wollen, schauen wir uns den Ort noch am Abend etwas genauer an. Iznik ist das antike Nicäa, dem, der im Reli-Unterricht aufgepasst hat, vielleicht noch als Tagungsort des ersten Ökumenischen Konzils geläufig (von Kaiser Konstantin im Jahr 325 einberufen, Stichwort: Arianismus). Das Licht reicht gerade noch, dass wir uns die Reste der ältesten Kirche von Iznik, in der ein späteres Konzil im 4. Jahrhundert getagt hatte, anschauen können. Iznik war zudem für seine Fayence-Kacheln bekannt, die noch heute großflächig etwa in der Hagia Sophia (in Istanbul) und dem Felsendom (in Jerusalem) bewundert werden können. Hunger haben wir nicht so recht, darum gibt's - ganz wie zu Hause - auf dem Balkon noch Chips und Bier. An Schlaf ist an diesem Abend zunächst nicht zu denken, denn Galatasaray ist gerade türkischer Fußballmeister geworden, der Autokorso unter dem Fenster lässt ahnen, warum die größte türkische Sportzeitung „Fanatik“ heißt ...