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Wie ich mein Motorrad fast im Euphrat versenkte

Reisen > Türkei 2008

Mit Charon über den Styx oder:
Wie ich mein Motorrad fast im Euphrat versenkte

Nach dem Frühstück können wir schon gegen acht loskommen. Doch da gibt's noch ein Problem. Sigi und Petra hatten uns schon gewarnt, dass die Fähre über den Euphrat-Stau außer Betrieb sei - zwar funktionsfähig, jedoch aus Versicherungsgründen u. ä. vorläufig stillgelegt. Das bedeutet für uns einen Umweg von gut 200 Kilometern. Wir erzählen unserem Pensionswirt davon, der daraufhin ein Telefonat führt. "Fahrt zum Anleger und fragt nach meine Fe-reund Zia - nach niemand anderem!" Diesen konspirativ zugeraunten Rat im Ohr fahren wir ermutigt los. Am Eingang des Ortes, in dem der Fähranlieger liegt, läuft uns ein Mann armefuchtelnd entgegen, will uns auf die stillgelegte Fähre hinweisen. "Kollega, du kennst wohl meine Fe-reund Zia nicht!" Der Anleger ist verlassen, die kleine Fähre und einige Fischerboote dümpeln vor sich hin. Schließlich kann ich einen Mann ausmachen. Zia? Nein, sein Vater. Und womit ...?
Nee, nicht dein Ernst??! Der Kahn ist etwas länger als mein Schreibtisch, wird - mit Glück - noch von der Farbe zusammengehalten. "No problem!" Bis zum heutigen Tag bedeutete mir diese Aussage aus Türkenmund nicht geringen Trost, ab jetzt bin ich der Überzeugung, dass du dann wirklich ein Problem hast. Ob wir es versuchen sollen? Ganz sicher ist - auch meinem Fe-reund ist das klar - dass beide auf einmal nicht geht, also zwei Touren. Zias Vater schleppt zwei schwere, scharfkantige Stahlbleche an, die als Auffahrrampe dienen sollen. Dass die mir nicht die Reifen aufschlitzen! Beim Versuch, mein Mopped auf den Kahn zu hieven, rufe ich mindestens drei Mal laut "No, no, no!" - "No problem." Ich male mir aus, wie ich dem türkischen Zoll erkläre, dass ich mein Motorrad im Euphrat versenkt habe. Schließlich ist mein Motorrad wirklich mit einer besseren Schnur (!) am Bug verzurrt. Mir kommt Charon, der grimmige Fährmann aus der griechischen Mythologie in den Sinn, der für einen Obolus die Toten über den Styx in den Hades überführte. Zias Vater als Reinkarnation? Pfeifen im Wald hilft mir auch nicht weiter, ich komme immer nur auf "Don't Pay The Ferryman".
Schließlich legen wir ab, der schalldämpferlose Diesel knallt infernalisch. Ich winke Rendel zu. War schön mit dir, behalt mich lieb ... Doch dann wird mir bewusst, dass sich gerade ein Traum erfüllt. Ich quere den Euphrat! Mesopotamien. Zweistromland. Und das nicht ganz profan über eine Brücke oder mit einer Allerweltsfähre, sondern mit - Charon? Der hält unbeirrt Kurs, vorbei an einer kleinen Insel, auf der noch einsam ein Stoppschild steht, das daran erinnert, dass hier mal eine Straße verlief. Die Kulisse ist - sorry, wenn ich mich wiederhole! - atemberaubend. Das Wasser ist völlig glatt, an den Ufern erheben sich steil und schroff rötliche Felsen. Nach etwa einer halben Stunde kommen wir am anderen Ufer an. Das Entladen könnte schwieriger werden als das Beladen. Charon ruft zwei Helfer herbei - geschafft! Dann zurück, dieselbe Prozedur mit Rendel, ihrem Motorrad und dem Gepäck. Gerade abgelegt, fängt der Dieselmotor an zu spinnen und gibt den Geist auf. Immer und immer wieder versucht Charon, das vorsintflutliche Aggregat mittels einer Kurbel anzuwerfen. Nichts. Zudem dringt nach und nach Wasser ins Boot, Rendel betätigt sich mit einem Eimer "schöpferisch". Wir staken ans Ufer zurück, wo sich ein junger Mann mit frischen Kräften erbarmt und den Motor wieder ans Laufen bekommt. Das zweite Entladen ist etwas prekär, da die Helfer weg sind, selbst Charon kommt einmal kein "No problem!" über die Lippen. Dann klappt's aber doch - and I pay the ferryman.
Das Ganze hat mehr Nerven, Geld und Zeit gekostet, als es der Umweg getan hätte - aber es ist ein unvergessliches Erlebnis, was wir nicht missen wollen. Heute wurde aus dem Urlaub ein wenig Abenteuer. (Erst zu Hause kann ich Sigis Schilderung, die er uns beim Abendessen gab, richtig einordnen. Er erzählte irgendetwas von der Jandarma, die ihnen mit Verhaftung und Beschlagnahme der Motorräder gedroht hatte, falls sie einen illegalen Transportweg wählten ... Gut, Bayern sind halt etwas hasenfüßig.) Charon erweist sich im Hauptberuf als Betreiber eines kleinen Gartenlokals am diesseitigen (sic!) - nicht im Hades - Fähranleger. Wir trinken noch ein paar Tee, rödeln auf und orientieren uns zunächst in Richtung Siverek - auf "ins wilde Kurdistan"!



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