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Türkenbiker und Wildschweinsteak

Reisen > Türkei 2008

Türkenbiker und Wildschweinsteak:
Zeytinbagi und die Ägäisinsel Gökceada

Selbst hier sind wir an der Tankstelle eine Attraktion. Zu dritt wird der Luftdruck kontrolliert. Leider ist die Tankstellenmannschaft etwas übermotiviert, mit dem Druckstrahler entfernen sie in kürzester Zeit alle Reisepatina, die wir uns so schwer erarbeitet hatten, von unseren Motorrädern. Wir nehmen ausnahmsweise die Autobahn Richtung Istanbul. Bei einer Rast ereilt mich ein Migräneanfall, der erste auf dieser Tour. Wir verlassen die Autobahn bei
Izmit, passieren, diesmal am Nordufer, wieder den Iznik-See und halten uns Richtung Yalova/Mudaniye. Leider verlieren sich die LKW nicht so schnell wie erhofft, was die Fahrerei zur Plackerei werden lässt. Doch schließlich wird die Straße enger und windet sich an der Küste entlang. Mudaniye erweist sich als etwas laut, wir atmen nochmal durch und fahren bis Zeytinbagi, dem alten Triliye. Ich habe noch eine Migräneattacke; während ich ausruhe, erkundet Rendel schon ein wenig den Ort. Der ist wider Erwarten sehr nett, eine schöne Uferpromenade mit vielen Fischlokalen. Neun von zehn Einwohnern von Zeytinbagi leben direkt oder indirekt vom Olivenanbau (Zeytin heißt "Olive").
Fisch oder nicht? Wir haben von den oft horrenden Preisen gehört. Trotzdem suchen wir uns in der Küche etwas aus, entscheiden uns für Filet vom "Tonguefish". (Zu Hause finde ich heraus, dass das bei uns unter "Hundszunge" läuft, eine Plattfischart.) Das Zünglein mundet hervorragend, genau wie die Rechnung, die sich, inklusive zweier Bier, auf YTL 42,- beläuft, also gut 20,- Euro.
Der Abend ist schön, wir sitzen noch vor dem Hotel. Der putzige Nachtportier bietet uns an, den Wein selbst im Ort zu kaufen, er steuert dann Korkenzieher und Gläser bei.

Am nächsten Morgen legen wir wieder einen Frühstart hin, fast 30 Kilometer geht es zunächst durch Olivenhaine, dann über Bandirma nach Canakkale, die bislang einzige Doppelung auf dieser Tour. In Canakkale bleibt noch Zeit für einen Tavuk-Döner, dann geht die Fähre rüber auf die Gallipoli-Halbinsel. Auf dem Weg nach Kabatepe, dem Fährhafen nach Gökceada, passieren wir die Gedenkstätten der Gallipoli-Schlacht. Die Türkei gedenkt hier ihres Sieges über die Alliierten während des Ersten Weltkriegs, vornehmlich Truppen aus Australien und Neuseeland ("ANZAC"), während die Nachfahren Letzterer noch regelmäßig zum entsprechenden Gedenktag hier eintrudeln. Wir sind schon schon gegen 14 Uhr am Fähranleger. Eingangs des Hafengeländes fallen uns einige Motorräder auf, zwei Honda Transalp, eine 650er-Suzuki-V-Strom und ein großer Roller, alle mit türkischen Kennzeichen. Die vier Fahrer kommen aus Adiyaman und wollen auch für's Wochenende nach Gökceada. Zunächst kommen wir ein wenig "fachlich" ins Gespräch, über die Moppeds, Bereifung, Helmfunk etc. Die vier sprechen ausschließlich Türkisch, es ist erstaunlich, wie wir uns mit unseren Kenntnissen und dazu mit Gesten selbst über solche Themen austauschen können. Leider geht die Fähre erst um 18.30 Uhr. Darum habe ich Zeit, noch mal eben nach Eceabat zurückzufahren, um Geld zu ziehen. (Im letzten Jahr mochte nämlich der einzige Geldautomat auf Bozcaada, der Nachbarinsel, meine Karte nicht.) Unsere türkisch-deutsche Motorradgang zieht sich in den Schatten eines Gartenlokals zurück. Wir kommen vor allem mit zwei der Türken näher in Kontakt. Der eine ist Installateur, der andere - ein Hodscha! Entsprechend zieht er sich zweimal zu den vorgeschriebenen Zeiten mit seinen Kumpels zurück, um die Gebete zu verrichten. Leider reichen die Sprachkenntnisse dann doch nicht aus, um über abstrakte, spirituelle Dinge zu reden. "Hodscha" - so rufen ihn auch alle, ist ziemlich gerührt, als ich ihm eine detaillierte Straßenkarte der Türkei schenke, auf der sogar die kleinen Heimatdörfer der vier verzeichnet sind. Die Zeche im Lokal hätten wir gerne beglichen, doch ist das unmöglich. Die simple wie logische Begründung unserer neuen Motorradkumpels: "Ihr seid hier in der Türkei - und deshalb seid ihr hier unsere Gäste." Die Wartezeit wird noch etwas verkürzt, als drei Motorräder mit Schweizer Kennzeichen auftauchen. Die drei Fahrer um die vierzig sind auf dem Landweg von der Schweiz angereist. Sie haben drei Monate Zeit und wollen weiter bis Indien. Auch mit ihnen tauschen wir noch Tipps aus. Sie haben sich für leichtere Einzylinder entschieden: KTM LC4, BMW F650GS und eine alte Yamaha Ténéré. Sie wollen heute noch auf dem Festland campen und morgen auch nach Gökceada übersetzen.
Schließlich läuft die Fähre ein, ein schon größeres und schnelles Teil vom RoRo-Typ. Wir dürfen als Erste drauf und platzieren uns zur zügigen Ausfahrt ganz vorne an der Rampe. Nach einer Stunde fünfzehn laufen wir in Kuzulimani, dem "Schafshafen", ein. Gerne hätte ich ein Foto vom Pier aus gehabt, wie sich die Rampe senkt und wir sechs aus dem Schiffsrumpf preschen. Der Installateur war als Soldat auf Gökceada, kennt den Ort, in den wir wollen. Die vier fahren vor, und dann verabschieden wir uns an einer Abzweigung. Nach etwa 15 Minuten kommt der Wegweiser nach Tepeköy, "Gipfeldorf", der Ort, in dem Barba Yorgo sein Hotel haben soll. Wir haben uns entschlossen, auf gut Glück dorthin zu fahren. In der Dämmerung wirkt das Dorf ziemlich verlassen und verfallen, ein Eindruck, der sich auch bei Licht nicht wesentlich ändern soll. Wir halten auf den "Ortskern" zu, wo Licht brennt. Als wir die Helme absetzen, hören wir auch Musik. Man fühlt sich in einen griechischen Ort mit Taverne versetzt. Tatsächlich ist Tepeköy immer noch (oder wieder) fast ausschließlich von Griechen bewohnt, Griechen wie etwa Barba Yorgo, "Onkel Georg". Wir tragen unseren Zimmerwunsch vor, zwei "griechischstämmige Deutsch-Türken" helfen uns (der eine will mir gleich ein Wasserglas voll Raki kredenzen, was ich dankend ablehne). Eine junge Frau wird angewiesen, uns zu begleiten. Wir marschieren wieder ein ganzes Stück ortsauswärts, dort wird uns ein kleines Häuschen zugewiesen, alt, aber ein richtiges kleines Appartement mit zwei großen Zimmern. Wir holen schnell die Moppeds nach, ziehen uns um und gehen wieder zur Taverne. Mittlerweile ist es halb zehn und wir haben Hunger. Wir lassen Essen auffahren, dazu eine Flasche selbst gekelterten Roten. Der Zaziki ist köstlich, dazu etwas Unindentifizierbares, könnten Pilze sein. Schmeckt gut. Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass es sich um Meeresfrüchte handelt, aber das kann ja nicht sein, denn die mag ich ja nicht ... Da sich darin keine Tentakeln und Saugnäpfe fanden, haben wir das nicht erkannt. Ich entziehe mich noch mehrmals den Einladungen zum Raki, dann gehen wir zum Appartement. Im Flur stehen unsere Stiefel, als Rendel sie hochnimmt, blickt sie entsetzt auf fieses Getier. "Kakerlaken!", rufe ich und schlage auf die Viecher ein, wohl wissend, dass Kakerlaken hart und zäh sind.
Nachts kratzt und raschelt es im Zimmer. Das erweist sich jedoch als Schaf, das vor dem offenen Fenster grast. Am nächsten Morgen stelle ich fest, dass meine Kakerlaken-Diagnose voreilig war. Auf unserem Weg durch die dunkle Straße waren wir in Schafskacke getreten. Unsere Stiefel hatten dann durch die offene Tür viele Mistkäfer angezogen. In der Folge ließen wir die Schuhe draußen - und hatten Ruhe. (Auf Türkisch heißt "Kakerlake" übrigens bezeichnenderweise Hamam böcegi - "Hamam-(Badehaus-)Käfer". Dazu noch ein Tipp, den ich mal von einem Angehörigen des israelischen Militärgeheimdienstes bekommen habe: In der Wüste im Zweifel immer dahin setzen, wo Mistkäfer sind - denn da sind keine Skorpione ...)
Samstag, 1. Juni, Rendels Geburtstag. Wegen der "Kakerlaken" fühlt sie sich erst ein wenig unwohl, was sich aber nach dem Aufräumen und Einrichten legt. Wir erkunden die Insel, fahren an einen der zahlreichen Strände. Dieser ist jedoch sehr mit Seetang verunreinigt. Ein Kite-Surfer zischt mit Affenzahn über die Wellen. Die Insel ist sehr schön und landschaftlich recht vielfältig. Als einzige Ägäisinsel hat sie keine Wasserprobleme, ein Stausee dient als großes Reservoir. In Kaleköy, dem touristischen Hauptort, machen wir Rast. Eine Kioskbesitzerin setzt uns anhand eines Übersichtsplans gut über die Sehenswürdigkeiten der Insel ins Bild. (Apropos "Kiosk": Das Wort kommt aus dem Türkischen, abgeleitet von Kösk, einem offenen Gartenpavillon.) Dort treffen wir nochmal die drei Schweizer, denen wir noch einen Tipp zu einem Campingplatz geben können.
Ein Mittagsschläfchen verkürzt die Zeit bis zum Abendessen. Es soll Wildschwein geben! Ich bin etwas skeptisch, doch fang ich fast an zu sabbern, als ich das riesige Steak vor mir auf dem Teller sehe. Kööstlich! Zwar bin ich kein Lamm-Fan, doch mundeten auch die entsprechenden Gerichte hier - etwa Köfte vom Lamm - hervorragend. Tatsächlich sind Schafe und Ziegen hier allgegenwärtig - buchstäblich. Während des Essens laufen sie zwischen den Tischen her (abends immer dasselbe Pärchen), traben über Terrassen und Vorgärten - mit den entsprechenden Hinterlassenschaften. Dafür schweigt hier der Muezzin, morgens erklingt das Glöckchen der kleinen griechisch-orthodoxen Kirche (und der Pope wandert durchs Dorf).
Wir kommen mit dem türkischen Ehepaar, das das Nachbarappartement bewohnt, ins Gespräch. Sie sind Architekten aus Istanbul und fahren fast jedes Wochenende die 350 Kilometer, schlafen manchmal, wenn sie die Abendfähre nicht mehr bekommen haben, am Hafen im Auto, um dann morgens überzusetzen. Natürlich tragen sie sich mit dem Gedanken, hier selbst etwas zu kaufen und zu restaurieren.
Diese Nacht haben wir ungestört und gut geschlafen. Wir wollen endlich mal baden. Auf dem Weg zum Strand
Gizli Liman sehen wir Ziegen mit rotem Fell. Der Strand an der Westspitze ist tatsächlich super, fast so schön wie Patara, vom Panorama her noch schöner. Im Dunst kann man die griechische Insel Limnos erkennen. Hier ist auch gleichzeitig der äußerste westliche Punkt der Türkei, wir haben die Türkei also - mal von ein paar Kilometern im Osten abgesehen - ganz von Ost nach West durchmessen (und auch nahezu von Süd nach Nord). Am Strand - grober Sand, klares Wasser - sind wir ganz alleine. Auf dem Rückweg fahren wir noch in Dereköy vorbei, "größtes Dorf der Türkei". Es soll einmal aus 2.000 Häusern bestanden haben, ist aber heute fast ein Geisterdorf. Die Kioskbesitzerin hatte uns noch auf einen Flecken namens Marmaros aufmerksam gemacht, bei dem es einen Wasserfall geben soll. Der Abzweig liegt auf dem Weg, von der Hauptstraße sollen es etwa sieben Kilometer sein - keine Strecke. Jedoch ist der Weg nach kurzer Zeit derart, wie man sich eine schöne Endurostrecke vorstellt. Rendel kommt dabei fast an ihre Grenzen, schafft aber alles prima. Marmaros, direkt am Meer, ist wohl eine aufgegebene Militärstellung, leider liegen die Trümmer der Gebäude wild in der Gegend herum. Die Bucht hingegen ist traumhaft und - kein Wunder - menschenleer. Wenn es irgendwo einen Abzweig zum Wasserfall gibt, haben wir ihn verpasst, wir können den Wasserfall nur in der Ferne erahnen.
Im Nachbarort von Tepeköy soll es bei einer alten Dame hervorragenden Kaffee geben, scheint aber geschlossen zu sein. So holen wir uns im Insel-Hauptort Imroz ein paar Simit - Sesam-Hefekringel -, die wir an Ort und Stelle verputzen.
Wir essen früh zu Abend, weil wir den Sonnenuntergang bei einem Glas Wein an einem Picknickplatz in der Nähe unseres Dorfes erleben wollen. Weil es dunstig ist, kann man die Sonne zwar nicht verschwinden sehen, der Blick über das Meer auf die nur etwa 25 Kilometer entfernte Insel Samothrake war den Weg jedoch wert. Wir haben unseren Spaß, als ich versuche, uns beide mit Selbstauslöser zu fotografieren, wofür ich etliche Male hin und her rennen muss.
Noch schnell ein Abschiedsfoto mit Barba Yorgo, dann zahlen wir und machen uns ans Packen, denn morgen werden wir ungefrühstückt losfahren, da wir schon um 6.30 Uhr an der Fähre sein müssen. Tatsächlich können wir am nächsten Morgen als Erste auf die Fähre, wieder ganz vorne. Wir frühstücken an Bord, dann macht Rendel einen Kontrollgang zu den Moppeds, denn die See ist etwas aufgewühlt. Beim zweiten Mal muss sie berichten, dass ihr Mopped umgekippt ist. Wir laufen runter und richten es mit Hilfe eines Türken auf. Zum Glück ist keines der umstehenden Fahrzeuge beschädigt worden, der rechte Spiegel von Rendels Mopped musste allerdings dran glauben. Rendel ist durch den Gestank des ausgelaufenen Benzins, den Seegang und den Schrecken speiübel. Ich schicke sie an Deck und postiere mich zwischen beiden Motorrädern, kralle mich an ihnen fest und trotze so Wind und Wellen ... Nach dem Entladen halten wir uns Richtung Kesan, dem ersten Übernachtungsort in der Türkei auf der Hinfahrt. Ich sehe den Blitzer von Weitem, meine auch, das Tempolimit eingehalten zu haben. Lange nix, dann der Kontrollposten. Strenger Blick, winkt mich etwas barsch zur Seite. Der Cop geht erst zu Rendel, ich beobachte im Spiegel. Verhackstückt irgendwas mit ihr, dann bin ich dran. Hinter dem Rücken zaubert er ein kleines Tablett hervor, auf dem ein Sortiment an "süßen Stückchen" liegt - ich solle mir eins aussuchen. Sein Kommentar lediglich ein verschmitztes "Good bye!" - Beamtenwillkür.
Dann heißt es tatsächlich "Good bye, Türkei!" Die Grenzabfertigung geht zügig, lediglich der griechische Zöllner will einen Blick in unsere Koffer werfen.



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