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Eine Landschaft wie im Traum: Kappadokien

Reisen > Türkei 2008

Eine Landschaft wie im Traum: Kappadokien
Von den zipfelmützigen Hethitergöttern verabschieden wir uns und halten uns Richtung Süden, wo uns aber auch Zipfelmützen erwarten, nämlich die witzig aussehenden Türmchen und Phalli im Tuffstein Kappadokiens. Bei der Abfahrt ruft uns eine Frau noch ein freundliches
Güle güle gidin! - "Fahrt mit Freude!" hinterher. Kappadokien kam im letzten Jahr zu kurz, in der Tat könnte man hier auch einen kompletten Urlaub, durchwirkt mit Natur, Kultur und Erholung, verleben (die kappadokischen Weine nicht zu vergessen ...) Die schön kühle, aber auch etwas klamme Höhlenwohnung aus dem Vorjahr noch in Erinnerung, haben wir uns diesmal ein anderes "Zuckerl" als Unterkunft ausgekuckt, das Old Greek House in Mustafapasa. Die im Reiseführer ausgeschriebenen Preise lassen uns zwar etwas zusammenzucken - wir werden sehen. Sowohl die durch die Erosionskräfte gestaltete Landschaft als auch die durch Menschenhand geschaffenen Siedlungen und Häuser Kappadokiens bieten eine große Vielfalt. Mustafapasa ist noch ganz eindeutig von der ehedem griechischen Bevölkerung und hier insbesondere von den meisterlichen Steinmetzen geprägt. Das Old Greek House ist ein großes Steinhaus, wiewohl ursprünglich griechisch, im Stil eines türkischen Konak, also eines herrschaftlichen Gästehauses oder Amtssitzes, errichtet. 1887 erbaut, ging es 1924 im Zuge des Bevölkerungsaustausches an eine türkische Familie aus Thessaloniki. Prächtige Wandmalereien, Arkaden, ein herrlicher Innenhof und eine weitgehend originale, nicht künstlich auf alt getrimmte Einrichtung geben dem Gebäude einen unverwechselbaren Charme. Wir lassen uns auf drei Tage und Nächte ein, die so schön werden, dass wir auf dem Rückweg noch erwägen sollen, hier vielleicht noch mal Quartier zu nehmen.
Dem außergewöhnlichen Ambiente entspricht auch das Publikum, wobei das Hotel jedoch alles andere als mondän ist. Vielmehr treffen sich hier Individualreisende oder auch kleine Gruppen, deren Interesse einem besseren Kennenlernen von Landschaft, Kultur und Bevölkerung gilt. Wir unterhalten uns länger mit einem kanadischen Ehepaar, das sich im Anschluss an eine Mittelmeerkreuzfahrt noch die Türkei gönnen möchte. Wir können ihnen noch ein paar Tipps geben, sie geben uns ihre E-Mail und laden uns zu sich nach Hause ein.
Mustafapasa liegt noch im kappadokischen "Kernland", die umgebenden Tuffsteingebilde sind jedoch nicht ganz so bizarr wie etwa in
Göreme, doch auch hier findet sich eine beeindruckende Landschaft. Das Dorf als solches hat einen unwiderstehlichen Reiz. Viele Häuser wurden stilecht restauriert, manche zu recht exklusiven Herbergen umfunktioniert (oder, etwa bei einer Karawanserei, ihrem ursprünglichen Zweck wieder zugeführt), wieder andere verfallen langsam. Bei einem abendlichen Rundgang entdecken wir, dass das kleine Dorf sogar Hochschulstandort ist - und zwar nicht nur, wie man vielleicht erwarten würde, für fortgeschrittenes Koranstudium, sondern u. a. für Architektur, darstellende Kunst und vieles mehr. Als wir abends durch die Tore des altehrwürdigen Gebäudes lugen, fordern uns die Hüter des Eingangs zum Eintreten auf. Beim Betrachten der wunderschön gestalteten Räume und Innenhöfe drängt sich der Gedanke an ein "türkisches Cambridge" auf. Gewiss ist Istanbul noch viel prächtiger, aber hier sind wir in einem kleinen Dorf in der anatolischen Provinz! Besonders hat es mir eine einige Meter hohe Steinsäule am Eingangsportal angetan, die drehbar gelagert ist.
Mittlerweile sind auch Petra und Sigi, unsere letztjährige nette Urlaubsbekanntschaft, in Kappadokien eingetroffen. Sie reisen mit einem weiteren Paar und sind schon fast auf dem Rückweg; waren bis auf die Höhe Nemrut Dagi (dazu später mehr) und in sanliurfa. Zur Koordination unserer Unterkünfte hat es nicht mehr gereicht, die vier haben sich in Göreme einquartiert. Wir müssen uns unbedingt sehen, schließlich sind wir "um sechs in Kappadokien" zum Türkeistammtisch verabredet ... Wir lassen uns noch kulinarisch verwöhnen und fallen dann ins Bett.
Am nächsten Morgen verabreden wir uns mit den vier Allgäuern. Wir wollen uns eine der unterirdischen Städte anschauen, unsere Wahl fällt auf Derinkuyu. Leider war die Absprache per SMS nicht ganz eindeutig, während wir vor dem Hotel warten, stehen die anderen schon in Derinkuyu. Also auf die Moppeds, wir nehmen eine "Abkürzung", die sich streckenweise als veritable Endurostrecke erweist. Großes Hallo, dann steigen wir mit Jens und Maria (Sigi und Petra kennen es schon) in die Höhle. Das System reicht bis zu 85 Meter in die Tiefe, verteilt sich über 13 Etagen und konnte auf einer unterirdischen Gesamtfläche von etwa vier Quadratkilometern über längere Zeit ein Gemeinwesen von ca. 20.000 Menschen beherbergen. Dabei war Platz für Menschen, Vieh, Vorräte, Dreschplätze, Keller und selbst für Schulen. Das Ganze wurde durch ein ausgeklügeltes System mittels 52 Luftschächten mit Frischluft und durch Brunnen und Zisternen mit Wasser versorgt. Im Falle eines Falles konnten Zugänge blitzschnell mittels einer Art Mühlstein verschlossen werden - nicht zuletzt für die oftmals verfolgten Christen eine nicht zu überschätzende Einrichtung. Kappadokien weist etliche derartige unterirdische Städte auf, einige sind noch unzugänglich, andere wohl noch gar nicht entdeckt. Die Vulkane Erciyes Dagi und Hasan Dagi (Dagi, ausgesprochen "Daa", steht im Türkischen für "Berg") haben vor langer Zeit mit ihrer Lava die Grundlage für die bizarre Landschaft Kappadokiens gelegt. Der weiche Tuff lässt sich leicht aushöhlen und formen, ein Umstand, der allerdings auch bedingt, dass diese so pittoreske Landschaft über kurz oder lang durch die Kräfte von Wind und Wasser ihr Antlitz verlieren bzw. ändern wird. So fallen regelmäßig die "Hüte", die so manche Tuffsäule krönen, ab.
Als wir in Derinkuyu die Motorräder anlassen - nachdem wir uns noch mit viel Pide gestärkt haben -, läuft eine rundliche türkische Dörflerin auf uns zu und schwingt sich ungefragt auf Petras Soziussitz. Schallend lachend fordert sie uns auf, loszufahren. Aber ob die weite Pumphose und das Kopftuch wirklich die geeignete Motorradkleidung darstellt?
Petra, Sigi, Jens und Maria besichtigen auf dem Rückweg kurz unser Hotel - scheinen sich doch ein wenig zu ärgern, dass sie sich nicht hier einquartiert haben ...

Am Nachmittag erwandern wir noch die nähere Umgebung, schauen uns einige in den Tuff gehauene Kirchen an. Auffällig sind auch die verschiedenfarbigen, stark kontrastierenden Gesteinsschichten, die man an manchen Abbruchkanten sehen kann.
Am nächsten Tag flanieren wir durchs Dorf, ein freundlicher Ladenbesitzer lädt uns zum Tee ein. Wir besichtigen noch eine Kirche im Dorf, ausnahmsweise aus Stein gemauert, danach geht es noch zu einer weiteren - jetzt wieder Tuff! -, die noch heute regelmäßig von Griechen aus Griechenland besucht und benutzt wird. Das Miteinander von Griechen und Türken scheint sich zu entspannen, so können wir im Hotel eine Zeremonie beobachten, während der unserem Hotelier eine Auszeichnung des griechisch-türkischen Freundschaftsvereins überreicht wird.
Sigi und Petra haben uns zum Abendessen nach Göreme eingeladen. Darum müssen wir uns von der Mahlzeit im Hotel, für die wir schon eingeplant sind, wieder abmelden. Rendel will das übernehmen, während ich auf dem Bett döse. Es klopft an der Tür, es gäbe Cay. Als ich runtergehe, sehe ich Rendel im Kreis der Familie und Angestellten am großen Esstisch sitzen. Es gibt nicht nur Tee, wir müssen auch etliche Spezialitäten probieren - und das angesichts einer Einladung zum Abendessen! Die Gespräche am Tisch werden erstaunlich persönlich, vor allem, als Rendel von ihrer Tätigkeit als Familien-, Kinder- und Jugendtherapeutin berichtet. Mit meinen weit geringeren Türkischkenntnissen schau ich dann immer etwas blöd aus der Wäsche, kann dann aber mein Ass im Ärmel umso besser ausspielen: Anladimsa arap olayim!, lautet meine Geheimwaffe. "Ich will schwarz werden (wörtlich: "wie ein Araber"), wenn ich dich jetzt verstanden habe!" Nach diesem Spruch kugeln sich die Zuhörer immer vor Lachen.
Der Hotelier hat uns ein günstiges Taxi nach Göreme besorgt. Mit den Allgäuern ziehen wir in ein etwas feineres Lokal, wo wir echt lecker essen. Wir quatschen noch lange, bis wir dann wieder "unseren" Taxifahrer anrufen. Auf dem Rückweg läuft sich der Taxameter fast wund. Hab ich's doch geahnt! Jetzt werden wir abgezockt! Hätte ich doch den Rückfahrpreis vorher abgemacht!
Nein, ich muss Abbitte leisten. Der Fahrer hatte den Taxameter nur auf den Betrag auflaufen lassen, der Hin- und Rückfahrt ergab (auf der Hinfahrt war er aus), beide Strecken kosteten dasselbe. Dabei müssten mich unsere guten Erfahrungen doch eigentlich von unnötigem Misstrauen kuriert haben ...

Wir beschließen, noch einen Tag dranzuhängen. Heute soll es in das Ihlara-Tal gehen. Das sind fast 100 Kilometer Anfahrt. Der Himmel ist verhangen, trotzdem starten wir. Nach einigen Kilometern müssen wir uns schon unterstellen, doch dann hellt es auf und es bleibt trocken. "Grand Canyon der Türkei" - mit Superlativen sind nicht zuletzt Tourismusmanager schnell bei der Hand. Im Blick auf die Schlucht als solche ist das auch eine maßlose Übertreibung, das ganze "Setting", die Vegetation und vor allem natürlich die vielen, in die Wände der Schlucht gehauenen Kirchen lassen diesen Ort jedoch zu einer echten Besonderheit werden. Leider sind die Kirchen nicht ausgeleuchtet, manches ist nicht zu erkennen. Dabei war ich so gespannt auf die "sieben nackten Sünderinnen" in der Yilanli Kilise, der Schlangenkirche ... Trotzdem beeindruckend, was die Blitzlichtaufnahmen (war eigentlich nicht erlaubt ...) zu Hause offenbarten (nein, keine Nackten). Die Wanderung zieht sich so lang, dass wir den Rückweg per Taxi bestreiten. Taxi? Diesen Service übernehmen Dörfler mit ihren Privatwagen, in unserem Fall ein mindestens 25 Jahre altes Exemplar türkischer Provenienz.
Abends werden wir noch zu einem Folkloreabend im Hotel dazugebeten, eigentlich nicht unser Ding, aber hier soll es nicht um Bauchtanz gehen, bei dem angetrunkene Männer knapp bekleideten Damen Geldscheine in den Slip stecken, sondern um etwas Authentischeres. Der Hotelier greift zur Trommel, ein Saz-Spieler kommt dazu und ein dritter Mann tanzt und singt zur traditionellen Musik. Zum Repertoire gehört auch der bekannte Kasik dans, der Löffeltanz, bei dem Paare von Holzlöffeln, ähnlich den spanischen Kastagnetten, mit jeweils einer Hand aneinander geschlagen werden. Die anderen Gäste und wir lassen sich nicht lange bitten und tanzen mit.



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