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Reisen > Türkei 2008
Wo Noahs Arche strandete: Ararat und Dogubayazit
Rendels Prellung schmerzt, sie hält es jedoch ohne Tabletten aus. Am Sonntag, 25. Mai, brechen wir dann zum östlichsten und damit geografischen Wendepunkt unserer Tour auf: der Ararat ist zum Greifen nahe. Wir fahren über Muradiye Richtung Norden. Die Militärkontrollen häufen sich und werden intensiver. Abgesehen vom "Kurdenproblem" geht es dabei wohl vor allem um Schleuser und Schmuggler. Die Dörfer mit ihren Einfriedungen aus lose aufgeschichteten dunklen Steinen wirken wie Militärstellungen, die Gegend ist grün und das Terrain steigt an, wiewohl der Spiegel des Van-Sees auch schon auf etwa 1.700 Metern liegt. Kurz vor Dogubayazit fahren wir nur wenige hundert Meter an der iranischen Grenze vorbei. Zwischen Rendel und mir läuft ein kleiner Wettbewerb: Wer sieht den Ararat zuerst? Dann ruft Rendel: "Da isser!" Tatsächlich zeichnet sich der Gipfel zwischen zwei anderen Bergen ab. Ein paar Kilometer weiter, dann steht er in voller Pracht vor uns. Nicht ganz so wolkenverhangen wie auf vielen Bildern, uns gelingen ein paar schöne Fotos. Gut, Noah haben wir nicht gesehen, trotzdem ein erhebender Moment. In Dogubayazit orientieren wir uns in Richtung Isak Pasa Sarayi. Das "Sarayi" entspricht dem "Serail" und meint "Palast". Im Vergleich zur Stadt Dogubayazit muss allerdings alles wie ein Palast wirken, so schmutzig und staubig ist diese aus dem Boden gestampfte Stadt. Zum Palast sind es einige Kilometer, zuletzt in Serpentinen bergauf. Dann hebt sich dieses Kleinod, das buchstäblich aus Tausendundeinernacht zu entstammen scheint, gegen den Himmel ab, ein Stein gewordener Traum. Der Palast wurde im 17./18. Jahrhundert errichtet und vereint zahlreiche Architekturstile, die "Wohnfläche" betrug fast 8.000 m² und umfasste fast 400 Zimmer. Wirkt der Palast als ganzer und auch en détail schon grandios, so setzt die Lage - auf einem Hügel vor hoch aufragenden Felswänden - der Sache noch das Sahnehäubchen auf.
Da Dogubayazit sonst nichts zu bieten hat ("Hier gibt's ja auch nix zu sehen!"), richten wir unsere Motorräder nach Westen aus, wir hoffen, es heute bis Erzurum zu schaffen. Der Weg aus der Stadt zur Hauptstraße ist eine bessere Geröllstrecke. Auf einmal höre ich Rendel über Funk ausrufen: "Oh, neeein!" Ein Blick in den Spiegel lässt mich durch den Staub einen Fahrradfahrer erahnen, der lang hinschlägt. Da Rendel in dem Moment aus meinem Blickfeld verschwunden ist, befürchte ich das Schlimmste, sehe dann aber, dass ihr Mopped noch fährt. Sie berichtet, dass das radelnde Kind ihre Spur ohne zu schauen kreuzen wollte. Rendel konnte zwar, trotz Schotter, mustergültig ausweichen, ohne das Kind zu berühren, jedoch hat es sich beim Sturz sicher die Knochen poliert. Nach einigen Metern meldet sich Rendel weinend, sie kann nicht mehr, hat einen Schock. Wir halten an. Rendel zittert wie bei Schüttelfrost. "Wenn ich daran denke, was hätte passieren können! Ich könnte nie wieder auf's Motorrad steigen." Rationalisieren, der Hinweis, dass ja nicht viel passiert ist, dass sie ja keine Schuld hat - alles das hilft da wenig. Ich nehm sie in den Arm und lass sie weinen. Irgendwann geht's wieder und wir fahren langsam weiter.
In Agri müssen wir tanken. Der Name "Agri" bedeutet "Schmerz" - und damit ist schon fast alles über diesen Ort gesagt. An der Tanke fragen mich zwei Jungs, wie denn Dogubayazit gewesen sei. Ich antworte: Kötü - schlecht. "Und Agri?" Just in dem Moment haben mich meine Türkischkenntnisse wohl verlassen ... (Übrigens heißt der Ararat auf Türkisch Agri Dagi, also "Schmerzensberg", wohingegen das Wort "Ararat" auf eine falsche Vokalisierung des Namens Urartu, also des alten Reiches der Urartäer - mit Tuspa, heute Van, als Hauptstadt - zurückgeht.)