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Nemrut Dagi: Wo es auch nix zu sehen gibt

Reisen > Türkei 2008

Nemrut Dagi: Wo es auch nix zu sehen gibt
Zeitig verlassen wir Antakya Richtung Nordost. Die Strecke ist zum Großteil langweilig, erst bei
Kâhta, wo die ersten Ausläufer des riesigen Atatürk-Stausees in den Tälern aufblitzen, wird es schön und auch wieder grüner. Der Stausee ist Teil eines gewaltigen Programms zur wirtschaftlichen Förderung Süd- und Ostanatoliens. Dieses GAP (Güneydogu Anadolu Projesi/Südost-Anatolien-Projekt) genannte Programm lässt große Gegenden urbar werden, ist aber nicht unumstritten, so etwa bei den Anrainerstaaten, die befürchten, von der Wasserversorgung durch Euphrat und Tigris abgeschnitten zu werden. Auch die notwendig werdende Umsiedlung ganzer Dörfer und die Zerstörung bedeutender archäologischer Stätten (wie wir noch am Beispiel Hasankeyf beschreiben werden), hat Kritiker auf den Plan gerufen.
Wir wollen unser Quartier am Fuß des Nemrut aufschlagen und fahren erst bis zum Eingang des Nationalparks. Dort soll es nach Aussage des Italieners, den wir in Antakya getroffen haben, eine Pension geben. Die sagt uns allerdings nicht zu, wir fahren einige Kilometer zurück ins Dorf Karadut, wo wir in der gleichnamigen Pension ein Zimmer bekommen. Die Pension liegt vor einer grandiosen Kulisse, zudem hält sie, wenn auch versteckt, ein veritables Kontingent an Bier vor. Rendel macht ihren "Zug durch die Gemeinde" und wird dabei von einer kurdischen Bauernfamilie hereingebeten. Nur mit Mühe kann sie sich der Einladung zum Abendessen entziehen, gerne hätte sie jedoch noch die frisch gemolkene und heiß gemachte Milch probiert, sie weiß aber, dass in der Pension das Essen auf dem Tisch steht. Dieses Argument versucht der Hausherr zu entkräften, indem er sagt: "Ja, aber für Geld!" Rendel darf noch - die Tochter des Hauses ziert sich erst etwas - einige Fotos machen, verbunden mit dem Versprechen, Abzüge zu schicken (ein Versprechen, das wir immer und gerne einlösen). Etwas verlegen wird der Vater, als er seine Adresse aufschreiben soll, er kann nämlich nicht schreiben - ein Nachbar löst das Problem schließlich.
Wir plauschen noch ein wenig mit zwei bildhübschen Französinnen, die nach einem Volontariat in Istanbul noch die Türkei bereisen. Die eine der beiden ist Sprachtherapeutin und hat in Istanbul mit autistischen Kindern gearbeitet. Dann geht es früh ins Bett, weil um 3.30 Uhr der Wecker klingelt. Wir wollen zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel sein. (Der Nemrut hat zwei ähnlich angelegte Terrassen, von denen die eine bei Sonnenauf-, die andere beim Untergang in herrliches Licht getaucht wird. - Die Französinnen haben sich für den Sonnenuntergang entschieden, wofür ich am nächsten Morgen durchaus Verständnis aufbringen kann ...)
Katzenwäsche muss reichen, wir besteigen beide mein Motorrad und ich fahre uns in der kühlen Morgendämmerung hoch. 700 Meter vom Gipfel entfernt ist ein kleines Restaurant. Dort parken wir, um die letzten Meter zu wandern bzw. zu klettern. Unsere Wasserflasche ist etwas ausgelaufen und hat fast unsere (letzte) Kamera durchtränkt. War zwar nicht Rendels Schuld, trotzdem blaffe ich sie an. Sorry, war ungerecht (und einer der ganz wenigen Misstöne auf dieser Tour). Der Aufstieg ist recht steil und anstrengend, zwar weht ein kalter Wind, doch wir schwitzen in den Motorradklamotten. Den Nemrut Dagi muss man sich als Berg vorstellen, auf dessen Spitze noch ein kegelförmiger Gerölltumulus von 50 (früher 70 - die Besucher haben alles runtergetreten) Metern aufgeschichtet ist. Hauptattraktion sind die auf besagten Terrassen aufgestellten fünf neun Meter hohen, sitzenden und enthaupteten Statuen des Kommagenekönigs Antiochos I. Theos inmitten der Gottheiten Tyche, Zeus, Apollon und Herakles. Die Köpfe der Statuen sind jetzt vor den Torsos aufgereiht. Sie entstammen im Wesentlichen aus der Zeit von 109 bis 36 v. Chr.
Nach dem Schwitzen frieren wir im eisigen Morgenwind grausig. Meine Mütze ist bei dem Wasserflaschenmaleur durchnässt worden, mein schweißnasser Glatzkopf kühlt aus. Rendel kann eine Fleecejacke entbehren und bindet mir daraus einen Turban. Kurz unterhalten wir uns mit einem älteren deutschen Paar, das in Alanya wohnt. Sie fragen nach unseren Plänen, wir erzählen, dass wir u. a. zum Van-See wollen. "Ja", entgegnet der Mann, "da gibt es ja auch nix zu sehen." Forthin wird diese Aussage für uns zum geflügelten Wort, wann immer wir staunend vor den Schönheiten dieses Landes stehen.

Endlich tauchen die ersten Sonnenstrahlen die Terrasse in ein rötliches Licht, die Statuen strahlen gelblich-ockerfarben. Auch nix zu sehen. Wir schauen uns noch das Löwenhoroskop an und stiefeln zur Westterrasse - im Abendlicht sicher ähnlich beeindruckend. Schließlich eisen (sic!) wir uns los und treten den Rückweg an.



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